Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.01.2007
Aktenzeichen: 5 TG 2648/06
Rechtsgebiete: EWS, HGO


Vorschriften:

EWS des Abwasserverbandes Oberes Fuldatal
HGO § 71 Abs. 2
Zur Auslegung einer Vereinbarung, mit der für einen künftigen Abwasserbeitrag die Zahlungspflicht hinausgeschoben werden soll.

Zum Einwand der Treuwidrigkeit, wenn sich eine Gemeinde auf die schwebende Unwirksamkeit einer gegen § 71 Abs. 2 HGO verstoßenden Verpflichtungserklärung beruft.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 TG 2648/06

VG Kassel 6 G 147/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Abwasserbaubeiträgen

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider

am 16. Januar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 16. Oktober 2006 - 6 G 147/06 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4758,60 € festgesetzt.

Gründe:

Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Heranziehung zu einem Abwasserbeitrag für die Schaffung der betriebsbereit fertig gestellten Abwasseranlage für das Grundstück Gemarkung Rothemann, Flur ....., Flurstücke ..........., im Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Dezember 2005 weiter. Ihre Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Der Senat hat unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren allein zu prüfenden Beschwerdegründe der Antragsteller (§ 146 Abs. 4 Satz 6 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheids, die es nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO rechtfertigen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, nach Durchführung der Kanalverlegungsarbeiten im Bereich "................ ...................straße" sei für das streitgegenständliche Grundstück die erstmalige Anschlussmöglichkeit geschaffen worden, so dass die Antragsteller als Erben des Herrn Edgar A., die im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Beitragsbescheide Miteigentümer des Grundstücks gewesen seien, die Beitragspflicht treffe. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Heranziehungsbescheide ergäben sich auch nicht aus der zwischen dem Erblasser und der Gemeinde A-Stadt, vertreten durch den damaligen Bürgermeister, geschlossenen Vereinbarung vom 26. Juni 1973, die in ihrem letzten Absatz wie folgt lautet:

"Die Gemeinde wird von Edgar A. erst zum Zeitpunkt der Veräußerung beziehungsweise Bebauung der Grundstücke Erschließungskosten und Anliegerbeiträge erheben, und zwar dann wenn er die Grundstücke selbst bebaut. Ein Zwang auf Bebauung wird nicht ausgeübt."

Dieser Passus enthalte keine Stundungsvereinbarung, weil im Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung ein Abgabenschuldverhältnis noch nicht begründet worden sei. Bei dieser für die Gemeinde abgegebenen Erklärung handele es sich vielmehr um einen unbefristeten Vorausverzicht auf die Erhebung von Erschließungs- und Anliegerbeiträgen unter der auflösenden Bedingung der Veräußerung oder eigenen Bebauung der Grundstücke im Flurstück .... der Flur ..., der indes nichtig und daher beitragsrechtlich unwirksam sei. Die Erklärung der Gemeinde habe nicht den vertretungsrechtlichen Anforderungen des § 71 Abs. 2 Hessische Gemeindeordnung - HGO - entsprochen, so dass dieser Verstoß zwar nicht unmittelbar zur Nichtigkeit (analog § 59 Abs. 1 HessVwVfG in Verbindung mit § 134 BGB) der gemeindlichen Verpflichtungserklärung, aber zu deren schwebender Unwirksamkeit (analog § 59 Abs. 1 HessVwVfG in Verbindung mit § 177 Abs. 1 BGB) führe. Eine Heilung dieses Mangels durch einen Beschluss des allgemeinen Vertretungsorgans, das dieser Verpflichtungserklärung nachträglich zustimme, sei aber weder von den Beteiligten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Im Übrigen stelle die vorliegende Vereinbarung eines auflösend bedingten unbefristeten Vorausverzichts auf Erschließungs- und Anliegerbeiträge als weitere Gegenleistung für eine Grundstücksübertragung eine inhaltlich unzulässige und damit nichtige Vereinbarung dar, weil sie gemäß § 59 Abs. 1 HessVwVfG in Verbindung mit § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Ein Abgabenverzicht entgegen der gesetzlich angeordneten Beitragserhebungspflicht werde in der Rechtsprechung nur dann ausnahmsweise für zulässig erachtet, wenn der Abgabenschuldner zugunsten des betreffenden Abgabenhaushalts eine adäquate Gegenleistung erbringe, so dass der Charakter einer Sonderregelung zu Lasten anderer Abgabenschuldner ausscheide. Davon könne im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil im Jahre 1973 die Höhe eines Abwasserbeitrags nach Schaffung eines Kanalanschlusses noch völlig ungewiss und damit die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung nicht feststellbar gewesen sei.

Die hiergegen von den Antragstellern vorgebrachten Einwände rechtfertigen nicht die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Nicht gefolgt werden kann allerdings der Annahme des Verwaltungsgerichts, bei der in Bezug genommenen Vereinbarung handele es sich um einen auflösend bedingten Vorausverzicht auf die Erhebung von Erschließungs- und Anliegerbeiträgen. Der Vereinbarung kann nicht der Wille der Gemeinde entnommen werden, auf die Beitragserhebung überhaupt verzichten zu wollen. Bei verständiger Würdigung der Vereinbarung schwebte den Beteiligten vielmehr vor, nach dem Entstehen der Beitragspflicht die Zahlungsverpflichtung des Herrn Edgar A. bis zur Veräußerung bzw. zur Bebauung der Grundstücke durch diesen hinaus zu schieben, also den Beitrag zu stunden. Die Vereinbarung stellt aber nicht selbst schon die Stundung dar, denn diese setzt - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist - das Bestehen eines Abgabenschuldverhältnisses voraus. Dem entspricht es, die Vereinbarung als Zusicherung einer Stundung zugunsten von Herrn Edgar A. aufzufassen. Vor dem Hintergrund einer derartigen Zusicherung zugunsten des Herrn Edgar A. persönlich können sich die Antragsteller als Erben des Herrn Edgar A. auf diese Vereinbarung nicht berufen. Davon abgesehen wäre das Rechtsschutzbegehren im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, sondern mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verfolgen, denn selbst das Bestehen eines Anspruchs auf Stundung lässt die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides unberührt.

Auf all dies kommt es aber letztlich nicht an, denn die in Bezug genommene Vereinbarung berührt die Rechtmäßigkeit der Heranziehungsbescheide jedenfalls deshalb nicht, weil sie - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist - schwebend unwirksam ist, ohne dass eine Heilung eingetreten wäre. Zur weiteren Begründung wird insoweit auf die Ausführungen (Blatt 3 - 6) des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen, die sich der Senat zu Eigen macht (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO). Dagegen können die Antragsteller nicht mit Erfolg einwenden, die Antragsgegnerin verstoße gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sie sich auf die Unwirksamkeit dieser Vereinbarung berufe. Zwar ist dieser Einwand gegenüber einer Gemeinde, die sich auf die Nichteinhaltung der Förmlichkeiten des § 71 Abs. 2 HGO beruft, nicht grundsätzlich unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich bei § 71 Abs. 2 HGO um eine Vertretungsregelung, mit der durch die Bindung an eine bestimmte Form die Vertretungsmacht von Gemeindeorganen eingeschränkt wird (dazu Senatsurteil vom 15. Februar 1996 - 5 UE 2836/95 -, NVwZ 1997, 618 f.). Der das ganze Rechtsleben beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben gilt auch hier. Ebenso wie bei der Verletzung echter Formvorschriften darf aber nicht jede allgemeine Billigkeitserwägung dazu führen, einer Verpflichtungserklärung trotz Nichtbeachtung der förmlichen Vertretungsregelungen bindende Wirkung zu verleihen. Nur unter sehr engen Voraussetzungen, so wenn die Nichtigkeitsfolgen für den Vertragsgegner zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen würden und ein notwendiger Ausgleich mit anderen rechtlichen Mitteln nicht zu erzielen ist, kann es geboten sein, die Gemeinde an die Verpflichtungserklärung zu binden und ihr die Berufung auf deren Unwirksamkeit als Verstoß gegen Treu und Glauben zu versagen (BGH, Urteile vom 13. Oktober 1983 - III ZR 158/82 -, NJW 1984, 606 = DVBl 1984, 335 = DÖV 1984, 294). Dafür ist hier - nach den von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte entwickelten Grundsätzen, die sich der Senat zu Eigen macht - nichts ersichtlich. Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kommt in Betracht, wenn eine Partei arglistig die Wahrung der Form schuldhaft vereitelt, um sich später auf die Formnichtigkeit zu berufen. Nicht ausreichend ist in diesem Zusammenhang, dass eine Partei den Formmangel schuldhaft, aber nicht arglistig verursacht hat (BGH, Urteile vom 21. Januar 1965 - V ZR 53/64 -, NJW 1965, 812 und vom 21. März 1969 - V ZR 87/67 -, NJW 1969,1 1167). Anhaltspunkte für ein arglistiges Verhalten des Bürgermeisters bei dem Abschluss der Vereinbarung im Jahre 1973 sind weder von den Antragstellern vorgetragen noch sonst erkennbar. Soweit die Antragsteller vortragen, der Erblasser - Herr A. - habe als juristischer Laie auf die ausreichende Befugnis des Bürgermeisters vertraut und keinen Anlass gesehen, daran zu zweifeln, reicht das nicht aus, der Gemeinde die Berufung auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben zu verwehren.

Zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen im Sinne des § 242 BGB kann es zum anderen führen, wenn die Berufung auf den Formmangel bei der anderen Partei, die gutgläubig auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts vertraut hat, die Gefährdung oder die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz zur Folge hat (Palandt, BGB, 66. Auflage 2007, § 125 Rdnr. 25 mit weiteren Nachweisen). Anhaltspunkte für eine Existenzgefährdung der Antragsteller wegen der Beitragsforderung in Höhe von 14.275 €, für die diese als Gesamtschuldner haften und die im Zweifel im Innenverhältnis geteilt wird, liegen jedoch nicht vor; derartiges ist von den Antragstellern auch nicht vorgetragen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die Höhe des Streitwerts auf §§ 52 Abs. 3, 53 Nr. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 S. 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück